Wir sind auf dem Weg

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Dienstag, 31. März 2015

Prenzlauer Rundschau sagt Kampf gegen Rechts an





Foto: K.M.

Die Prenzlauer Rundschau sagt immer wieder neu den Kampf gegen Rechts an. Der Neonazi-Aussteiger Kevin Müller hat seine Wurzeln in der Uckermark.



Ende April 2015 erscheint im Archiv der Jugendkulturen Verlag ein monumentales Werk über „Frei.Wild. Südtirols konservative Antifaschisten“ (siehe www.facebook.com/Frei.Wild.DasBuch?ref=hl bzw. http://shop.jugendkulturen.de/375-freiwild.html). Autor ist Klaus Farin, Gründer des Berliner Archiv der Jugendkulturen und Autor u. a. von „Krieg in den Städten. Jugendgangs in Deutschland“ und „Die Autonomen“. Für dieses Buch hat Farin nicht nur mit Frei.Wild selbst Interviews geführt, sondern auch mit 59 (!) weiteren Deutschrock-Bands und anderen „Experten“. Unter anderem auch mit dem Berliner Aussteiger aus der rechtsextremen Szene Kevin Müller.
Hier könnt Ihr das Interview exklusiv vorab und ungekürzt lesen:

Interview mit einem Aussteiger aus der rechtsextremen Szene:
„Nach dem Ausstieg hat man erst mal kein Freunde mehr, emotionale Leere um einen herum und Selbstzweifel.“
Interview Kevin Müller

Kevin Müller, Jahrgang 1987, war jahrelang Mitglied der rechten Szene. Ende 2010 ist er ausgestiegen. Seitdem engagiert er sich in Schulen und im öffentlichen Raum gegen Rechtsextremismus. Er informiert über die Methoden der Nazis beim Kampf um die Köpfe.

Heißt du wirklich Kevin Müller?
Wenn ich so in meinen Personalausweis schaue, steht das natürlich drin; selbst in meiner Geburtsurkunde.

Deine Eltern waren Onkelz-Fans?
Na klar! Seit Beginn der Onkelz, und meine Eltern benannten mich nach Kevin Russell. Na, wenn das nicht Aussage genug ist ...

Du warst selbst auch mal Onkelz-Fan. Was hältst du heute von der Band?
Waren am Anfang meine großen Vorbilder. Doch nachdem ich in die Nazi-Szene eingestiegen war, fielen sie bei mir auf das Niveau einer ‚Verräter-Band‘ herunter. Auf der anderen Seite waren sie mir dann eine Riesenhilfe beim Ausstieg aus dieser Szene. Sie spiegeln in ihren Texten für mich einfach nur das, was im täglichen Leben stattfindet und was ich selber vielfach erlebt habe. Leider gehörte dazu viel Gewalt – zum Glück aber auch die Hinwendung zu Alternativen und die Orientierung, sich dagegen zu wehren.
Was ist die Band heute für mich? Eine realistische Reflektierung meiner Kindheit und meiner Teenagerzeit; eine Erinnerung und ein Aufruf an mich, nie aufzugeben und alle Erscheinungen bis zum Endpunkt zu durchleuchten. Ein Mutmacher.

Wie wird man Neonazi?
Es gibt viele Faktoren, die ich alle überhaupt gar nicht aufzählen will. Ich nenne einige wenige Fakten, die mich sicher beeinflusst haben
1. Zu wenig Kenntnis der deutschen Geschichte und darum falsches Identifizierungspotenzial, hinzukommend ein völliges Fehlen von Einsichten in gesellschaftliche Perspektiven usw.
2. Persönliches Umfeld (falsche Freunde, Perspektivlosigkeit im persönlichen Leben ...)
3. Negative Erfahrungen mit Ausländern und keine anschließende sachgemäße Aufarbeitung.

Und wie bist du dann konkret in die Szene reingerutscht?
In einer konfliktgeladenen Situation gab es für mich als 15/16-jährigen Teenager keine Hilfe. Sozialarbeiter und Schule versagten völlig und die Familie (Mutter mit 2 Kindern, alleinerziehend) war zu schwach. In diesem Moment fingen mich Mitglieder der rechtsextremen Szene regelrecht auf. Sie halfen mir bei Behördengängen, beim Umzug und boten mir einen ‚Familienersatz‘ – eben die oft zitierte ‚Kameradschaft‘. Erstmalig sah ich mich hier als Person bestätigt und geachtet.

Aber dazu musst du die ja schon gekannt haben. Die standen ja nicht mit nem Schild vorm Schultor: Wer braucht Hilfe? Wie hast du sie kennen gelernt?
Nee, die hatten kein Schild um den Hals mit Hilfsangeboten, aber auch keins, wo draufstand: „Vorsicht, ich bin Nazi". Als solche waren sie nicht zu erkennen. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick, und zu jenem Zeitpunkt war ich über jede beliebige Hilfe dankbar. Es waren die ‚hilfreichen‘ Bürger von nebenan.

Und wie lief dein wirklicher Einstieg in die Szene dann ab? Warst du von Anfang an akzeptiertes ‚Mitglied‘ oder musstest du dich erst bewähren?
Da lief weder was mit ‚sofort drinnen‘ noch mit ‚Bewährung‘ o. Ä. Man half mir hin und wieder; man gab mal einen für mich aus; man nahm mich zu der einen oder anderen Veranstaltung mit; man gab mir zu lesen, was ich vorher noch nie und überhaupt so gelesen hatte: mal das Buch „Der Tod spricht Polnisch“ [siehe www.blutundfleisch.org/buecher/buecher/geschichte/der-tod-sprach-polnisch/], mal eine Vorlesung über die Auschwitzlüge, mal ein Konzert – und das immer fortlaufend. Es war ein schleichender Prozess, der aber kontinuierlich und dann doch schnell ging. Ich hatte dem nichts entgegenzusetzen. Ich wurde nach einiger Zeit von denen akzeptiert und ich identifizierte mich mit ihnen.

Wie lange warst du insgesamt drin?
Gute 5 Jahre.

Und was war das für eine Gruppe? Warst du nur in einer eher losen Kameradschaft oder auch in der NPD oder klandestinen Organisationen?
Das ging alles sehr fließend ineinander über: erst lose Kameradschaft, dann lernte ich den Sänger von Landser, dann Udo Voigt und andere regionale Größen der Szene kennen, die sich alle um mich und natürlich vorrangig um meine ideologische Ausrichtung ‚kümmerten‘. Schnell war ich dann ein junger aufstrebender Kader mit einem NPD-Ausweis in der Tasche. Der Treppenwitz ist, dass Herr Voigt nach meinem Ausstieg einen verzweifelten Versuch unternahm, mich über eine (missglückte) Unterlassungsklage zum Schweigen zu bringen.

Was hättest du denn für dramatische Informationen ausplaudern können, dass der NPD-Chef ins Schwitzen kam?
Er scheint ja geschwitzt zu haben ... die Informationen waren nicht sonderlich spektakulär, aber die Offenlegung des ganz allgemeinen täglichen Idiotismus mit der Aura der einzigen verfolgten Vaterlandsretter; dass sie selber öffentlich bestreiten, dass sie Nazis sind, aber in Wirklichkeit die größten Hitler-Fanatiker und Beschwörer des Nazireiches; dass Kinderpornos auch in ihren Reihen von Einigen gepflegt werden usw. Das habe ich alles selber gesehen und erlebt, und so was tut Möchtegernhelden doch sichtbar weh, wenn es öffentlich wird.

Was macht man eigentlich so den ganzen Tag als Neonazi? Hollywood-Filme gucken und mexikanisch essen gehen wahrscheinlich nicht … Was waren deine ‚wichtigsten‘ Aktivitäten in der und für die rechte Szene?
Vor meinem Austritt wurde ich von der NPD in die Uckermark geschickt, um eine neue Kameradschaft zu gründen, was mir auch mit großem Erfolg gelang. Ich war sehr aktiv und entsprechend meiner Mentalität ständig unterwegs. Das ging von Propagandaeinsätzen vor Schulen bis zur Verfolgung und körperlichen Einwirkung auf aktive Andersdenkende.
Natürlich kam auch das Feiern – oft mit viel Alkohol – nicht zu kurz. Die gesamte Zeit aber wird man begleitet von Thesen, kulturellen Versatzstücken, Lügen und Agitationen der Naziszene. Während dieses Prozesses baut man sich eine autarke rassistische, rechtsextrem geprägte Weltanschauung auf, die mit gesellschaftlichen Realitäten nichts mehr zu tun hat.

Das heißt, du oder ihr habt Linke verfolgt und verprügelt?
Ja, ich war auch dabei, als ein Jugendlicher, der gegen die Nazis agitierte, entsetzlich zusammengeschlagen wurde. Ich weiß noch nicht mal, ob der auch wirklich ‚links‘ war. Vorher wurde eine Stimmung gegen den erzeugt, die eigentlich nur mit schlimmstem Mobbing zu bezeichnen ist, und seine Wohnung ausfindig gemacht. Für mich war es dann eines der wesentlichen Signale, wirklich auszusteigen.

Wie kommt man aus so einer Szene eigentlich wieder raus?
Das ist natürlich ein sehr vielschichtiger Prozess. Zunächst schafft man es nur durch die umfassende und bewusste Erweiterung des Wissens über die deutsche Geschichte, Kultur, Traditionen und die Identifizierung mit dem fortschrittlichen Gehalt der oben genannten Faktoren. So wie Tacitus zum Beispiel über die Germanen schrieb, dass sie gastfreundlich sind, dass Fremden die Türen immer offen standen, dass sie aber auch, wenn jemand in feindlicher Absicht kam, sehr wehrhaft waren.
Dann: Konsequentes Wechseln des ehemaligen ‚Freundeskreises‘.

Wie macht man das? Wie findet man neue Freunde? Vermutlich hat dir doch lange Zeit niemand geglaubt, dass du tatsächlich raus bist?
Damit muss man leben, dass es selbst bis heute immer noch Zweifler gibt, aber das ist wohl auch normal, wenn man erst mal in so einer menschenfeindlichen Szene gesteckt hatte. Daran darf man nicht verzweifeln. Mir ist es auf jeden Fall immer wieder Anlass, mein Verhalten und meine Gedankengänge zu überprüfen. Neue Freunde muss man sich dann mühsam erkämpfen und es geht einzig und alleine nur über die hundertprozentige Abwendung von allen und allem mit dem ‚Nazivirus‘ Infizierten. Wenn das eindeutig und aktiv vor aller Augen erfolgt, dann kann es auch geschehen, dass ehemalige Freunde, die man vor dem Eintritt in die rechte Szene hatte, wieder Vertrauen zu einem fassen. So jedenfalls geschah es mir.

Du hast also öffentlich deine Plattensammlung verbrannt und deinen Ausstieg im Fernsehen verkündet?
Ich hab gar keine Plattensammlung gehabt. Aber das, was ich hatte, behielt meine Nazi-Freundin, die nicht mir, aber der braunen Szene treu blieb. Meinen Ausstieg machte ich über fast alle Medien so öffentlich wie möglich.

Was ist das Schwierigste beim Ausstieg aus so einer Szene? Worin besteht das größte Rückfallrisiko?
Man hat erst mal fast kein Freunde mehr, emotionale Leere um einen herum und Selbstzweifel. Anfeindungen von der einen Seite und tiefstes Misstrauen von der anderen Seite. Angst vor Rache und vor Angriffen auf einen selbst, aber besonders auch auf die unbeteiligte Familie. Das größte Rückfallrisiko sehe ich darin, dass man nun von jeder weiteren Entwicklung abgeschnitten ist und man als das stigmatisiert wird, was man war.

Wie sieht dein Freundeskreis heute aus?
Wie soll der aussehen? Alles normale Leute: Pfarrer, Russen, Deutsche, Schwule, Heteros, Mitglieder der verschiedensten Szenen. Nur eben keine Nazis oder Rechtsextreme jeglicher Schattierung.

Ist Musik die „Einstiegsdroge Nummer Eins“ in die rechtsextreme Szene, wie der Verfassungsschutz nicht müde wird zu behaupten?
Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. „Einstiegsdroge Nummer Eins“ ist für mich eher eine falsche Politik, verbunden mit der Negierung der positiven Werte der deutschen Geschichte, zu denen ich die Herausbildung eines gesellschaftlich begründeten Humanismus durch unsere Dichter und Philosophen wie Goethe, Kant, Hegel halte. Deutschland faselt ständig vom Frieden und steht mit Waffenexporten an 3. Stelle in der Welt. Wenn dann mit genau diesen Waffen ganze Länder zerstört werden und die Menschen hierher fliehen, werden sie durch Gesetze diskriminiert. Zitate von Politikern, die dann auch noch Ängste und folgende Diskriminierungen anfeuern, möchte ich jetzt nicht nennen, gibt es aber mehr als genug. Eine zu lasch erfolgende Aufklärung, wenig und falsche Informationen über die Zeit der Nazidiktatur 1933-45 in der Schule und im gesamten öffentlichen Leben kommen dazu. Verwässerung der Schuldfrage für den Ausbruch der beiden Weltkriege und die Überbetonung der Opferrolle des deutschen Volkes öffnen nationalistischen und rechtsextremen Ressentiments viel mehr Tür und Tor als jegliche Musik es vermag.
Jedoch: Auch die Musik wie zum Beispiel von Sleipnir und Landser und vielen anderen ist natürlich ein nicht zu vernachlässigender Faktor in diesem Prozess. In dem Zusammenhang finde ich es sehr aufschlussreich, dass bis heute Lieder der Deutschen Wehrmacht in der Bundeswehr gesungen und gespielt werden. Das ist für Nazis DER Freibrief.

Sind die Texte der „Rechtsrock“-Bands wirklich geeignet, Menschen anzusprechen oder zu überzeugen, die nicht so denken oder bereits der rechten Szene angehören?
Wenn man kein gefestigtes humanistisches Weltbild – geprägt von der Umwelt, der Schule und dem Elternhaus hat – ja, dann spricht einen das ganz sicher an. Darauf haben wir ja bei der NPD und besonders bei den Kameradschaften gesetzt.

Was bezweckt die NPD, wenn sie ihre „Schulhof-CDs“ verteilt? Geht es ihr wirklich um die Inhalte und Agitationskraft der Songs?
Als Erstes und Wichtigstes bezwecken sie, Aufmerksamkeit zu erregen, um Inhalte und Agitationen geht es erst in zweiter Linie.  

Welche Bedeutung hat Musik denn generell in der rechten Szene?
Eine sehr große Bedeutung. Denn sie schafft Gemeinsamkeit, Identifikation, ein Gefühl des ‚Heimischseins‘, der Nähe und einer fiktiven Kameradschaft.

Wird Musik von den führenden Köpfen der rechten Szene eigentlich gezielt und planvoll eingesetzt?
Warum sind wohl Voigt und Lunikoff befreundet? Die „Internationale“ oder „Auf auf zum Kampf für Luxemburg“ werden die sicher für ihr Klientel nicht favorisieren.

Ist die Musik auch geeignet, neue Leute für die Szene zu gewinnen, oder nur dafür, die schon Gläubigen zu bestätigen?
Die Frage ist doch schon beantwortet: Na klar.

Die Absicht ist klar, aber sind sie damit auch erfolgreich? Ich habe bei meinen Recherchen zur rechten Szene niemals eine Bestätigung dafür gefunden, dass dort, wo zum Beispiel die NPD oder auch eine Kameradschaft sehr aktiv Rechtsrock-Angebote gemacht haben, wirklich die Mitgliederzahlen nennenswert gestiegen sind?
Zum Glück laufen den Nazis die Mitglieder und Mitläufer so oder so nicht zu Hunderttausenden zu. Die Musik ist jedoch in jeglicher Weise ein wichtiges Steinchen im ganzen Mosaik. Ich habe es auch nicht erlebt, dass NUR über die Musik die Anhängerschaft signifikant gestiegen ist, doch wer das vernachlässigt, macht sicher auch einen signifikanten Fehler.

Auffällig fand ich bei meinen Interviews mit Kadern der rechten Szene, dass wirklich die meisten ‚ihre‘ eigene Szene-Musik gar nicht mochten, für ziemlich primitiv hielten, und auch häufig eher sagten, sie wären trotz dieser Musik in der rechten Szene aktiv geworden?
Wenn ich einen Kader habe, der Abi hat und aus einem kultivierten Elternhaus stammt, wird der sich sicher von der rechtsextremen Hardcoremusik abgestoßen fühlen. Die fühlen sich in anderen Genres sicher mehr zu Hause. Aber ich habe gesehen und erlebt, wie Lunikoff und Voigt harmonierten, was will man noch mehr!

Hören Szene-Angehörige eigentlich nur „Rechtsrock“ oder auch andere Musik?
Klar hören sie auch andere Musik (außer natürlich linkstradierte Musik). Hauptsächlich zum Beispiel deutschen Schlager, Deutschrock, Techno etc.

Ist Deutschrock also auch ein Genre für Neonazis und andere Rechtsextreme?
Welchen Musikstil hat die Nazi-Szene von ihrer unseligen Geburt an bis heute denn nicht versucht, für ihre Zwecke zu missbrauchen! Da macht Deutschrock erst recht keine Ausnahme.

Soul, Jazz, Ska – Letzteren hören zwar auch Nazi-Skins bisweilen, aber mir ist keine rassistische oder rechtsextreme Ska-Band bekannt …
Keine Ahnung, kommt vielleicht noch.

Welche Eigenschaften machen Deutschrock für Rechtsextreme spannend?
Die deutsche Sprache und somit der eindeutige Transport ihrer unhumanistischen Inhalte.

Und was stört die rechte Szene und deren Angehörige am Deutschrock?
Na, dass nicht alle Gruppen, die Deutschrock machen, ihren protofaschistischen Dreck produzieren.

Spielt Frei.Wild eine Rolle in der rechten Szene?
Ja. Ein paar Idioten gibt es überall, die überall das hineinprojizieren, was in ihren Wahnvorstellungen existiert.

Ist Frei.Wild eher ein offenes Tor in die rechte Szene oder ein Ausstiegshelfer?
Frei.Wild ist weder ein offenes Tor noch eine Ausstiegshilfe. Man kann jeglichen Inhalt hineininterpretieren. Das kann natürlich ein sehr zweischneidiges Schwert sein. Zum einen ist die Musik nicht schlecht und geht gut ins Ohr. Zum anderen lässt sie natürlich viele Punkte offen, die Texte drücken sich in vielen Fällen nicht eindeutig aus und somit können irgendwelche rechtsextremen Spinner mit einiger Mühe diese zu einem „offenen Tor“ gestalten.

Im politischen Diskurs wird seit einiger Zeit vermehrt von einer musikalischen „Grauzone“ geredet. Wie definierst du „Grauzone“ und macht der Begriff überhaupt Sinn?
Dieser Begriff ist rein politisch belegt und existiert für mich einfach nicht!

Das macht dir vermutlich keine Freunde in Antifa-Kreisen. Spielt die Antifa für die rechte Szene eine Rolle?
Das stimmt, aber die Antifa ist weder mein Feind noch mein Gegner. Übertreibende Spinner gibt es überall. Ich habe dazu eben meine Meinung und muss so Widersprüche aushalten. Die Antifa ist der konsequenteste Gegner des Nazispuks, deshalb werden sie von denen gehasst und bekämpft. Ich habe bei denen auch Freunde, die überzeugend und klar Position beziehen. Wenn jedoch übertrieben wird und vereinzelt Positionen durch die Antifa eingenommen werden, die denen der rechten Szene gleichen – nur halt mit anderem Vorzeichen –, dann ist es eine indirekte Befeuerung der Nazi-Szene.

Viele „Rechtsrock“-Vertriebe hatten damals und haben zum Teil heute noch Onkelz-Tonträger im Angebot. Gibt es diese Instrumentalisierungsversuche, wie sie bei den Onkelz seinerzeit ja sehr stark waren, heute auch bei Frei.Wild?
Natürlich, die Nazis wären ja blöde, täten sie es nicht.

Nicht nur Frei.Wild, sondern die gesamte Deutschrock-Szene steht eigentlich unter Verdacht, selbst zumindest rechtsoffen zu sein. Wie schätzt du diese Szene und die wichtigsten Bands ein?
Ich finde es sehr übertrieben, bei Deutschrock von einem Generalverdacht der ‚Rechtsoffenheit‘ zu sinnieren. Deutschrock ist genau wie jedes andere Musikgenre erst mal neutral und somit politisch instrumentierbar. Aber zumindest die wichtigsten Bands der Deutschrock-Szene positionieren sich gegen Rassismus und Nazis. Beste Beispiele hierfür sind die Böhsen Onkelz, Toxpack sowie die Toten Hosen.

Warum boomt Deutschrock derzeit so stark? Was ist daran so faszinierend?
Meine Eltern wohnen in der Nähe von Polen, kaufen dort oft ein und haben dort einige Bekannte. In Polen regt sich niemand darüber auf, wenn polnische Musik gebracht wird; Rockmusik, Schlager, Volksmusik u. a. Die polnische Rockmusik hat dort noch nicht mal den Titel „Polenrock“ o. ä. Genau, wie die Polen in Polen leben, leben die Deutschen in Deutschland, und bekanntlich spricht jedes Volk seine Sprache und identifiziert sich darüber. Und wenn ich gute Musik hören will, höre ich sicherlich zum Beispiel englischsprachige Musik – aber ich will natürlich auch deutsche Musik hören, die aus meinem Kulturkreis kommt, zu der ich eine enge Beziehung habe, und so wird es sicherlich vielen gehen.  

Du meinst also, der Boom erklärt sich nur durch die Verwendung deutscher Sprache?
Ich bin kein Musikwissenschaftler. Sicher gibt es da einige Punkte mehr, wie eventuell traditionelle regionale Rhythmen, die dem deutschen Ohr schneller eingehen, da sie vertraut sind, aber der Schwerpunkt liegt bei mir in der Verwendung der deutschen Sprache.

Was hältst du persönlich von Frei.Wild?
Obwohl ich zunächst sehr skeptisch gegenüber der Musik von Frei.Wild war, musste ich akzeptieren, dass mein jüngerer Bruder voll in dieser Musik aufging, ein großer Fan wurde und ab 15 Jahren viele Konzerte besuchte. Über meinen Bruder, der nicht mal annähernd ausländerfeindlich oder rechtsextremistisch ist, kam ich der Musik von Frei.Wild näher und beschäftigte mich mit ihr. Dabei musste ich mich natürlich auch mit dem schon o.g. Begriff „Grauzone“ beschäftigen, da es einige Tendenzen gibt, Frei.Wild in die rechtsextreme Ecke zu stellen. Nachdem ich meinen Bruder zu Konzerten begleitete, da er noch minderjährig war, konnte ich für mich feststellen, dass dieses nicht zutrifft. Nazi-Konzerte sehen nach meinen eigenen Erfahrungen völlig anders aus! Seitdem höre ich selbst ohne diese politische Schablone die Musik von Frei.Wild so, wie es mir gefällt. Mir persönlich ist die Band einfach zu kommerziell.

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